Vom Blogger zum politischen Gefangenen

Die Geschichte von Ihar Losik

13. März 2021 | Vera Sautschanka, LiveFEED
Ihar Losik.
Source: b-g.by

Ihar Losik, ein 28-jähriger Journalist und Blogger, sollte eigentlich nicht im Gefängnis sein. Er sollte weiterhin über Neuigkeiten berichten, Zeit mit seiner Frau und seiner Tochter verbringen und seinen Beitrag zum Aufbau einer besseren Zukunft leisten. Allerdings ist das wohl nur in einem Paralleluniversum möglich. Nicht in Belarus.

Presse- und Versammlungsfreiheit sind für uns in den USA oft eine Selbstverständlichkeit. Belarusen hingegen hatten diese Freiheiten nie. Seit 1994 wird das Land vom amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko regiert, der auch als „Europas letzter Diktator“ bekannt ist. Keine der belarusischen Wahlen wurde als frei und fair anerkannt, und auch die Präsidentschaftswahlen 2020 waren keine Ausnahme.

Als Hunderttausende auf die Straße gingen, um im ganzen Land friedlich zu protestieren, waren Blendgranaten und Gummigeschosse die Antwort darauf. Während der anhaltenden Unruhen wurden mindestens acht Demonstranten getötet, Dutzende verschwanden. Es gibt mindestens 500 dokumentierte Fälle von Folter durch die Polizei und Spezialeinheiten. Eine vollwertige Unterdrückungsmaschinerie wurde in Bewegung gesetzt. Blogger und Journalisten wurden ihre ersten Ziele. Wir haben mit Darja Losik über ihren Mann und ihr Leben vorher und nachher gesprochen.

„Der 25. Juni war einfach ein normaler Tag. Gegen 11 Uhr gingen wir mit unserer Tochter im Park spazieren“, so Darja Losik.

Als Gründer des damals größten politischen Telegrammkanals des Landes, „Belarus golownogo mosga“ („Belarus immer im Sinn“), war Losik für die Behörden von besonderem Interesse. Aber er wusste damals trotzdem noch nicht, dass der Spaziergang an diesem Sommermorgen der letzte Spaziergang mit seiner Familie im Jahr 2020 sein sollte.

Als sie nach Hause kamen, wartete die Polizei bereits vor ihrer Wohnung. Ihnen wurde der vom stellvertretenden Generalstaatsanwalt unterzeichnete Durchsuchungsbefehl gezeigt. Kurz danach nahm die Polizei Ihar mit und Darja hat ihn seitdem nicht mehr gesehen.

„Alle rechtlichen Möglichkeiten sind ausgeschöpft. All unsere Petitionen, Beschwerden und Beschwerden über Beschwerden wurden abgelehnt. Ehrlich gesagt haben wir sie nur eingereicht, weil wir es versuchen mussten, obwohl jeder wusste, dass sie Ihar nicht gehen lassen würden. Leider funktioniert das in Belarus nicht so.“

Zuerst wurde Ihar wegen Art. 342 des Strafgesetzbuches („Organisation und Vorbereitung von Maßnahmen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen“) angeklagt.

„Laut Gesetz darf die Dauer der Voruntersuchung zu diesen Anklagen nicht länger als sechs Monate dauern, und sie hätten ihn bis spätestens 25. Dezember 2020 freilassen müssen. Stattdessen fanden sie nichts „Klügeres“, als neue Anklagen zu erheben (Art. 293 – „Teilnahme an Unruhen“), und es droht eine Freiheitsstrafe von bis zu acht Jahren“, schilderte Darja.

Ihar Losik mit seiner Tochter.
Source: Foto mit freundlicher Genehmigung von Darja Losik, LiveFEED

Aus Protest gegen das Unrecht trat Losik am 15. Dezember in einen Hungerstreik und forderte, ihn entweder freizulassen oder zumindest die Bedingungen seiner Untersuchungshaft zu ändern, so dass er seine Frau und seine Tochter sehen könne. Er nahm über 40 Tage keine Nahrung zu sich.

Während unseres Interviews präsentierte Darja eine Schachtel mit Briefen von Ihar und ein Porträt, das sein Zellengenosse gezeichnet hatte. Darja sagt, es sei momentan die einzige Möglichkeit für sie, zu erfahren, wie ihr Mann aussieht, da ihnen das Recht verweigert wurde, sich zu sehen.

Am 11. März wurde Ihar Losik wegen eines neuen Artikels angeklagt. Bis jetzt ist noch unklar, welcher Artikel das sein soll. Nachdem er von den neuen Anklagen erfahren hatte, versuchte Ihar sich vor den Augen des Ermittlers und seines Anwalts die Handgelenke aufzuschneiden. Ihar trat in einen trockenen Hungerstreik, um gegen die neuen Anklagen zu protestieren.

Seit dem 14. März ist Ihar einer von 285 politischen Gefangenen, die in Belarus hinter Gittern bleiben. Darüber hinaus gibt es über 900 Strafverfahren gegen Personen, die an den Protesten teilgenommen haben. Seit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 9. August 2020 wurden in Belarus mehr als 35.000 Menschen festgenommen, verhaftet und inhaftiert. Das ist die höchste Zahl in Europa in den letzten 40 Jahren und sie wächst mit den fortschreitenden Protesten weiter.

Darja Losik mit Swetlana Tichanowskaja.
Source: Foto mit freundlicher Genehmigung von LiveFEED

Swetlana Tichanowskaja, die international als „gewähltes Oberhaupt“ anerkannt ist, hat den 7. Februar zum globalen Tag der Solidarität mit Belarus erklärt. Ein halbes Jahr zuvor begannen die friedlichen Massenproteste – nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen, die Lukaschenko eine sechste Amtszeit bescherten, obwohl es Anzeichen eines weit verbreiteten Wahlbetrugs gab.

Rund um den Tag der Solidarität fanden Hunderte von Kundgebungen sowohl in Belarus als auch in aller Welt statt.

„Wir zeigen uns solidarisch mit dem belarusischen Volk und bewundern diejenigen, die Woche für Woche so zahlreich auf die Straße gehen, um das Recht zu fordern, ihre eigene Zukunft zu gestalten. Es ist längst überfällig, dass das illegitime Lukaschenko-Regime zurücktritt, neue, freie und faire Wahlen zulässt und alle politischen Gefangenen freilässt. Wir sind fest entschlossen, mit unseren transatlantischen Verbündeten zusammenzuarbeiten, um die belarusische Bevölkerung in ihrem Streben nach Demokratie, Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und anhaltender Achtung der Souveränität ihres Landes zu unterstützen“, so der leitende Republikaner des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Repräsentanenhauses, Michael McCaul, und der Vorsitzende des Ausschusses, Gregory W. Meeks, in einer gemeinsamen Erklärung.

„Nach dem Winter kommt der Frühling und die Nacht weicht der Morgendämmerung. Noch niemand konnte die Geschichte durch Dekrete, Verhaftungen oder Hinrichtungen stoppen“, schrieb Losik in seinem Brief, den er am 25. Januar im Gefängnis verfasst hatte.

Weitere Informationen finden Sie in unserem Videointerview mit Darja Losik.

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