Belarus Daily | 18. Jan

Jetzt ist sicher: Belarus bleibt die Hockey-Weltmeisterschaft verwehrt; von Glückwünschen bis zu Drohungen – erste Reaktion auf Nachricht über die Absage der Meisterschaft; „Das Fleisch gehört in die Kälte“: Arbeiter von Großbetrieben frieren an ihren Arbeitsplätzen; Pawel Latushka auf internationaler Fahndungsliste

18. Januar 2021 | BYHelp-Mediagroup
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IIHF entzieht Belarus die Eishockey-WM

Am 18. Januar trafen die Mitglieder des IIHF-Rates (Internationale Eishockey-Föderation) eine endgültige Entscheidung über die Verlegung der Weltmeisterschaft 2021 aus Belarus, berichtet die offizielle Website der Organisation. „Derzeit ist es unmöglich, die Sicherheit von Teams, Zuschauern und Offiziellen während der Weltmeisterschaft in Belarus zu gewährleisten“, heißt es in der Erklärung des Verbandes.

Ursprünglich sollte das Turnier vom 21. Mai bis zum 6. Juni 2021 in Riga und Minsk stattfinden. Lettland weigerte sich bereits im September, die Meisterschaft zusammen mit Belarus auszurichten. Der Vizepräsident der IIHF Kalervo Kummola war ebenfalls dagegen und eine Reihe von Unternehmen weigerte sich, die Veranstaltung in Minsk zu sponsern.

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Reaktionen auf Absage der WM: Tichanowskaja feiert gemeinsamen Sieg, regierungsnahe Kräfte versprechen „Dampfwalze der Repressionen“

Bereits am Abend des 18. Januar kommentierten mehrere Medien und Medienvertreter die Entscheidung. 

So berichtete Lukaschenkos offizieller Telegram-Kanal „Pool Pervogo“: „IIHF zeigte keine Stärke. Sie beugte sich dem Druck. Erinnern wir uns, was der Präsident sagte: ‚Wenn die Internationale Eishockey-Föderation dem Druck einzelner politischer Kreise bestimmter Länder nicht gewachsen ist, dann wird es keine Meisterschaft geben.‘ Und so geschah es.“

Und der regimetreue Telegram-Kanal „Zheltye Slivy“ drohte mit neuen Repressalien: „Das ‚Regime‘ hat mit der Absage der Meisterschaft sehr gut verdient. Ja, wir wollten sie austragen, aber da es nicht geklappt hat, gibt es wenigstens einen finanziellen Ausgleich. (…) Und das Beste zum Schluss: Sagen Sie der Schnitzelfee [Swetlana Tichanowskaja, Anm. d. Red.] und allen Beteiligten, dass sie mit ihren eigenen Händen die Bremsschläuche an der Dampfwalze der Repressionen durchgeschnitten haben, und jetzt wird nur noch beschleunigt. Sie kann nicht mehr bremsen. Diese Meisterschaft war der letzte zurückhaltende Faktor, der noch zur Toleranz gegenüber diversen offenkundig staatsfeindlichen Umtrieben und ausländischen ‚Einflussagenten‘ zwang. Nun können Sie sehen, wie ein elektrischer Fleischwolf mit Atomantrieb funktioniert. Es wird sehr spannend.“

Aleksandra Herasimenia.
Source: TUT.BY

Die Leiterin der Belarusischen Stiftung für Sportsolidarität – diese Stiftung setzte sich für die Verlegung der WM aus Belarus ein – Aleksandra Herasimenia erklärte wiederum, warum die Eishockey-WM 2021 von Anfang an nicht in Minsk hätte stattfinden können. 

„Wir haben die Situation in Belarus genau beobachtet und gesehen, dass eine Weltmeisterschaft in Minsk für Fans, Spieler und alle Anwesenden im Moment nicht sicher sein kann. Wir sehen, dass immer noch Menschen auf der Straße unbegründet festgenommen werden, ohne zu prüfen, um wen und was es sich handelt. Jeder kann davon betroffen sein. 

Vor der Eishockey-WM 2014 wurde in Minsk eine Welle von Verhaftungen und Festnahmen beobachtet. Daher können wir uns das Ausmaß der Repressionen vorstellen, die jetzt erfolgen würden, um die Straßen zu säubern und die Veranstaltung ruhig und friedlich durchzuführen. Tausende Belarusen, die auf die Straße gehen und ihre Position zum Ausdruck bringen würden, kämen dann hinter Gittern.

(…) Die Austragung der WM in Minsk könnte eine Art Werbung für eine Person werden. Eine gewisse Legitimation und Bestätigung von Lukaschenkos Macht, eine Anerkennung seiner Führungsposition. Er würde als Organisator die Gäste empfangen und vielleicht sogar Medaillen an die Sieger überreichen, was prinzipiell inakzeptabel ist.

Aber das Wichtigste, worauf wir uns bei der Lobbyarbeit für den Umzug der Eishockeymeisterschaft aus Minsk stützten, war der Wunsch der Belarusen selbst. Laut einer Umfrage der verifizierten Plattform „Golos“ [Stimme] sagten mehr als 90 % der an der Abstimmung teilgenommenen Personen, dass sie unter den aktuellen Umständen nicht bereit sind, die Weltmeisterschaft in Minsk auszutragen.“

Swetlana Tichanowskaja.
Source: https://t.me/tsikhanouskaya

Swetlana Tichanowskaja ist überzeugt, dass dies ein gemeinsamer Sieg der gesamten belarusischen Zivilgesellschaft war: „Das ist ein Sieg, weil es keine weitere Welle von Repressionen geben wird, um die Stadt vor der WM zu ‚säubern‘. Das ist ein Sieg, weil Lukaschenko nicht mehr so tun kann, als hätte er alles unter Kontrolle. Dies ist ein Sieg, denn die Belarusen haben ihr Ziel erreicht – und sie haben es gemeinsam getan. (…) Das ist es, was passiert, wenn die Menschen sich vereinen. Ich glaube, gemeinsam sind wir in der Lage, politische Gefangene zu befreien und zu verhindern, dass sich unser Land in ein ‚(Gefangenen-)Lager‘ verwandelt. Liebe Belarusen, gemeinsam holen wir das Recht und faire Wahlen zurück. Und dann würden wir uns freuen, die Meisterschaft auszurichten und alle unsere internationalen Partner und Freunde einzuladen, deren Anzahl seit diesem Jahr noch deutlich gestiegen ist.“

Bühnenautor, Schauspieler, Regisseur und künstlerischer Leiter des belarusischen „Freien Theaters“ („Free Theatre“) Mikalaj Chalesin kommentiert: „René Fasel ist es nicht gelungen, ein Sportfest in eine politische Farce zu verwandeln.“

„Das Fleisch gehört in die Kälte“: Belarusische Arbeiter schuften unter unmenschlichen Bedingungen bei starkem Frost

Schwere Fröste trafen Belarus am Wochenende (die Temperaturen fielen auf – 29°C in der Nacht und – 25°C am Tag), und am Montag begannen Medienredakteure und Telegram-Kanäle Nachrichten von Mitarbeitern verschiedener Betriebe über unmöglich gewordene Arbeitsbedingungen zu erhalten.

So herrscht im belarussischen Unternehmen OAO „FanDOK“, das das weltberühmte Möbelhaus IKEA beliefert, in den Holzbearbeitungswerkstätten eine Temperatur von –11°C! Im Minsker Werkzeugmaschinenwerk MZOR beträgt die Temperatur in den Werkstätten −12°C, selbst das Eis auf dem Boden schmilzt nicht.

Auch die Belegschaften des Nawapolazker Unternehmens „Izmeritel“, des Minsker Automobilwerks [MAZ] und des Minsker Traktorenwerks [MTZ] berichtet über die Kälte in den Betriebsräumen.

Ein Mitarbeiter des Minsker Radschlepper-Werks [MZKT] schreibt beispielsweise: „Wie in vielen anderen Betrieben gibt es auch bei MZKT Probleme mit der Heizung. So sollte die minimale Betriebstemperatur in den Bereichen, in denen besonders teure Anlagen stehen (tatsächlich ‚stehen‘, nicht arbeiten, die Aufträge sind nämlich zurückgegangen) über 15°C liegen, erreicht jedoch in einigen Bereichen nicht einmal 10°C. Der Geschäftsleitung ist die Gesundheit der Mitarbeiter egal! Hier ist zum Beispiel ein Satz, der vor einigen Jahren vom Chefentwickler des MZKT-Werks gesagt wurde: ‚Das Fleisch gehört in die Kälte‘.

Source: t.me/tutby_official

„Ich arbeite beim Belarusischen Automobilwerk [BELAZ] in der Montagehalle Nr. 1. Heute um 8 Uhr morgens hatten wir +2°C, am Samstag war es etwas wärmer: +5… 6°C“, beschreibt ein Arbeiter die Situation. „Wir sagten es unserem Vorarbeiter, er gab es an die Geschäftsleitung weiter, woraufhin ihm angeblich gesagt wurde, dass wir Geduld haben müssen, es seien nur noch ein paar Tage, und der Frost wird schon irgendwann vorbei sein.“

Die Journalisten erhielten von den Geschäftsleitungen der genannten Unternehmen mehrere Kommentare zu den Vorgängen. Einige berichteten, dass die Arbeiter nun warme Kleidung und warme Mahlzeiten bekämen, während andere die Richtigkeit der Messungen in Frage stellten. 

Die Kolumnistin und Schriftstellerin Hanna Slatkouskaja wiederum schrieb auf ihrer Facebook-Seite: „Es tut mir sehr leid, dass Männer und Frauen, die sich nicht vor harter Arbeit fürchten, Angst vor ihrem eigenen Schatten haben. Sie haben vergessen, was Freiheit, Stolz und Selbstachtung bedeutet. Das sind die Menschen, auf die man damals gehofft hat, als noch Hunderttausende auf den Straßen waren. Als das ganze Land im Gleichschritt dafür kämpfte, das Regime zu stürzen. 

Was muss man mit den Menschen gemacht und wie ihre Vorstellungen von Ehre und Würde verdreht haben, damit sich diese Menschen, sobald sie erwachsen sind, gehorsam in die Gefangenschaft begeben?

Nicht Ikea, nicht BELAZ und nicht Avtogydrousilitel [Hydraulikwerk in Barysau] sind schuld daran, dass die Standards nicht eingehalten werden, die Werksarbeiter selbst sind schuld, dass sie wie Sklaven behandelt werden, sorry.

Und wenn sich alle Arbeiter an ihren Stolz erinnern würden, gäbe es morgen Wärme und Komfort in den Betrieben.“ 

Es ist symbolisch, dass gerade morgen das Oberste Gericht von Belarus über die Rechtmäßigkeit des Streiks am 17. August 2020 bei Belaruskali entscheiden soll. Das Streikkomitee von Belaruskali rief in seiner Videobotschaft dazu auf, den 19. Januar zum Tag der Solidarität aller Beschäftigten des freien Belarus zu erklären.

Source: t.me/tutby_official

Pavel Latushka steht auf internationaler Fahndungsliste. Sein Kommentar: „Es ist sehr merkwürdig“

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Die Generalstaatsanwaltschaft von Belarus schreibt Pavel Latushka zur internationalen Fahndung aus. Die Behörde leitete das entsprechende Dokumentenpaket an Interpol weiter, meldet der Pressedienst der Generalstaatsanwaltschaft.

Das Verfahren, das gegen mich und andere Mitglieder des Koordinierungsrats eingeleitet wurde, ist politisch motiviert. Es ist schon sehr merkwürdig, wenn gegen Personen, die Straftaten begehen, friedliche Demonstranten töten und Gewalt ausüben, keine Strafverfahren eingeleitet werden und keine Ermittlungen durchgeführt werden. Und diejenigen, die Gewalt verurteilen, machen sich strafbar. Wie weit kann sich die Lage in Belarus noch verschärfen? Man kann anfangen, das Strafgesetzbuch auf dem Kopf zu lesen, es wird nicht mehr gebraucht“, kommentierte Latushka.


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