„Wir wurden auf einen Krieg gegen das eigene Volk vorbereitet“

Oberstleutnant der Polizei spricht über die Wahl und die Prügel danach

17. August 2020, 16:24 | TUT.BY

„Die ideologische Vorbereitung sah so aus: Wenn die aktuelle Macht verliere, werde jeder von uns [Polizeimitarbeitern] an Ästen am Straßenrand hängen. Deswegen müsse man diese Macht mit allen möglichen Mitteln schützen“. Jurij Machnatsch, Oberstleutnant im aktiven Dienst, Einsatz- und Streifendienst kompanieführer der Bezirkspolizeidirektion der Stadt Lida, erzählt in einem Video über die Ereignisse der letzten Monate.

Source: TUT.BY

Seine wichtigsten Aussagen zusammengefasst:

  • Jurij Machnatsch hat bereits im Juni den Befehl des stellvertretenden Leiters der Bezirkspolizeidirektion Lida Denis Awramenkow bekommen, eine friedliche Kundgebung in Lida aufzulösen. Laut Machnatsch waren die Teilnehmenden friedliche Menschen – Rentner, Männer, Frauen mit Kindern und Kinderwagen, die nichts Schlimmes taten. Er hat sich geweigert, den Führungsbefehl auszuführen, den sein Chef seinerseits vom stellvertretenden Leiter der Verwaltung für Inneres der Grodno-Region Aleksandr Schastajlo erhalten hatte.
  • Während der Wahlkampagne fing „die tatsächliche Vorbereitung der Behörden für Inneres auf einen Krieg gegen das eigene Volk“ an.
  • „Die Ideologie war so: Wenn die jetzige Macht verliere, werde jeder von uns an Ästen am Straßenrand hängen. Deswegen müsse man diese Macht mit allen möglichen Mitteln schützen“.
  • „In Lida passierte Schreckliches: Menschen wurden überall verprügelt und misshandelt: Auf der Polizeistation, in Polizeitransportern, bei den Autowaschanlagen für Polizeiwagen“. Machnatsch erzählt, es seien Einsatzkräfte der Polizei-Sondereinheit OMON und die Mitarbeiter der Bezirkspolizeidirektion Lida, die die Misshandlungen durchgeführt haben. Zu jener Zeit war er selbst im Urlaub, da er noch vor den Wahlen verstanden hat, dass er nicht zum Dienst gehen kann.
  • In der Bezirkspolizeidirektion Lida haben 13 Offiziere die Prügelaktionen nicht akzeptiert und „erhobenen Hauptes“ ihre Kündigung eingereicht. Sie sind bereit, über die rechtswidrigen Handlungen in der Bezirkspolizeidirektion Lida auszusagen.
  • „Die Initiative, darüber zu berichten, geht von mir persönlich aus, niemand hat mich dafür bezahlt, wie man jetzt oft behauptet.  Das ist ein Herzensschrei. Damit darf man sich nicht abfinden. So ein Verhältnis zum eigenen Volk ist unzulässig“.
  • Seine unpolitischen Freunde und Bekannte wurden auch festgenommen, in Hausschuhen direkt vor ihren Häusern – nach der Freilassung waren sie alle mit blauen Flecken bedeckt.
  • „Ich habe 23 meiner besten Jahre dem Dienst gewidmet und ich konnte es mir nie vorstellen, dass so etwas kommt. Dass wir anfangen, die Menschen in unserem Land so brutal und wie Vieh zu behandeln. Ich schäme mich, meine Uniform zu tragen“.

Früher erzählte Jurij Machnatsch einer örtlichen Zeitung, dass er die Entscheidung, Polizist zu werden, bereits während seines Militärdienstes getroffen hat. Am Anfang seiner Karriere sei ein ihm nahestehender Mensch Opfer eines Verbrechens geworden. Diese Situation festigte seinen Wunsch, Verbrechen aufdecken und die Stadt von schlechten Menschen zu „säubern“ – das sei das, was er im Leben tun will.

Doch bei einer solchen Polizei [die friedliche Zivilisten brutal zusammenschlägt] will er und einige seiner Kollegen nicht mehr arbeiten.

Am 18. August, soll Jurij Machnatsch zur Polizeistation kommen, um seine Kündigung einzureichen. TUT.BY wird das Schicksal von Jurij Machnatsch und seinen Kollegen weiter verfolgen.

Letzte Woche wurden in Lida, wie auch in anderen belarusischen Städten, Menschen massenhaft und gewaltsam festgenommen. Die Einheimischen erzählen, es seien ca. 300 Personen festgenommen worden, einige stark verprügelt. Über ihre Geschichten werden wir Sie später informieren.