“Man hat das Gefühl, man sei im Mittelalter”

Nachts wurde neben Akrescina eine Audiodatei mit Schreien und Stöhnen der Geschlagenen aufgenommen

13. August 2020, 21:02 | Katerina Borisevich & Ekaterina Panteleyeva, TUT.BY
Verwandte der Inhaftierten bei Akrescina am 12. August.
Source: Wadim Zamirowskij, TUT.BY

Heute um 5:57 Uhr hat ein Freiwilliger in die Redaktion von “Nasha Niva” eine Audiodatei geschickt, die er am Gebäude der Untersuchungshaftanstalt aufgenommen hat. Man hört, wie Menschen geschlagen und angebrüllt werden. Die Redaktion der Zeitschrift zweifelt nicht an der Echtheit der Datei.

Die Datei wurde im offiziellen Telegramm-Kanal von “Nasha Niva” gepostet. Die Schreie und Stöhne bestätigen die Erzählungen der Menschen, die aus der Untersuchungshaft in Akrescina verprügelt freigelassen wurden. Ihre Körper sind voll von blauen Flecken und Blutergüssen. Die Aufnahme dauert 2 Minuten und 23 Sekunden. Die Menschen mit schwachen Nerven sollten sie lieber nicht hören. Zum besseren Verständnis der Geschehnisse hinter den verschlossenen Türen von Untersuchungshaft: Die Männer schreien vor Schmerz, danach folgen Schläge. Offensichtlich werden sie so brutal geschlagen, dass der Freiwillige es draußen aufnehmen konnte. Auch die Gewalttäter schrien, aber ihre Worte konnte man nicht immer verstehen.

“Sofort lassen, Schindel!!! Links rum! Im Laufschritt!”, brüllt jemand in der Aufnahme.

Die Audiodatei kann im Originalartikel gefunden werden.

Wir sprachen mit zwei Männern, die vom 10. bis zum 12. August festgehalten wurden. Sie bestätigten: nachts werden die Menschen in der Untersuchungshaft tatsächlich geschlagen.

“Ich bin ein erwachsener Mann, aber ich habe geschrien”, erzählt Michail, “ich denke, sie verprügeln in der Nacht, damit es keine Augenzeugen gibt. Besonders brutal waren Miliz-Sondereinheiten, die Mitarbeiter der Untersuchungshaft haben sich von Anfang an mehr oder weniger normal verhalten. Wir wurden in den Hinterhof von den Männern in Schwarz herausgetrieben, in die Knie gezwungen, das war ihre absolute Lieblingsbeschäftigung, dann mit Gummiknüppel gegen die Beine und den Rücken geschlagen und danach mußten wir Kniebeugen machen.”

Michails Erzählung ist der Aufnahme ähnlich: begleitet von den Schreien der Miliz-Sondereinheiten laufen die Männer auf die Straße hinaus, sie schreien dort vor Schmerz. Mit diesen Schreien werden sie zurück in die Zelle zusammengetrieben.

Heute hielten die Journalisten von TUT.BY an dem Gebäude der Untersuchungshaft in Akrescina Wache. Am Tag kam auf uns und einige andere JournalistInnen eine Frau zu. Sie stellte sich als Natalja vor und erzählte, dass sie im Krankenhaus für Hautkrankheiten in der Prilukskaja-Straße liegt, es befindet sich neben der Untersuchungshaft. Laut Natalja hört man seit dem 10. August aus dem Grundstück der Untersuchungshaftanstalt unmenschliche Schreie. 

“Am Abend, wenn die Eltern weggejagt werden, etwa an ein Uhr nachts, hat man das Gefühl im Mittelalter zu sein”, sagt Natalja, “Menschen, Männer schreien so, dass wir nicht schlafen können, es ist unerträglich zu zuhören. Es ist ein Alptraum.”

“Die Schreie,” setzt ihre Gesprächspartnerin fort, “dauern etwa zwei bis drei Stunden. Vor Sonnenaufgang ist alles wieder still.”

“Das ist ein unendliches Gebrüll. Die Menschen schreien mit unmenschlichen Stimmen”, Natalja kann die Tränen kaum zurückhalten. “(…) Ich bin eine Frau, aber sogar die Männer können nicht schlafen, das kann man nicht ertragen. So etwas habe ich nur in den Filmen über Afghanistan gesehen. Wie kann man das verhindern?”

TUT.BY schickte die Audiodatei, die am Gebäude von Akrescina aufgenommen wurde, ins Innenministerium und ins Hauptamt für innere Angelegenheiten mit der Bitte um einen Kommentar.

“Gestern Abend und Nacht wurden von 36 Miliz-Mitarbeitern verhaftete Personen eingeliefert. (Sie wurden sowohl durch die Mitarbeiter der Bezirksverwaltung für innere Angelegenheiten als auch durch die Sondereinheiten verhaftet.) Einige eingelieferte Personen nahmen an den nicht bewilligten Veranstaltungen teil, einige waren Organisatoren der Strassen-Krawallen. Physische Gewalt wurde nur dann eingesetzt, wenn die Personen Widerstand gegen die Mitarbeiter der Miliz leisteten,” kommentierte Natalja Ganusewitsch, offizielle Vertreterin des Hauptamtes für innere Angelegenheiten des Exekutivkomitees des Minsker Stadtrates.