Belarus Daily | 23. Mai

Ryanair-Maschine Athen-Vilnius über Belarus umgeleitet. Blogger Roman Protasewitsch, einer der Fluggäste, verhaftet

23. Mai 2021 | Voice of Belarus
Roman Protasewitsch.
Source: Telegra.ph

Ryanair-Maschine Athen-Vilnius über Belarus umgeleitet. Roman Protasewitsch war an Bord

Am 23. Mai musste ein Flugzeug der Fluggesellschaft Ryanair, das von Athen nach Vilnius unterwegs war, in Minsk notlanden. Zunächst behaupteten die belarusischen Behörden und die Flughafenleitung, dass die Piloten selbst ein Notsignal abgegeben hätten. Dies stellte sich jedoch als Lüge heraus. Ryanair berichtete, dass die belarusische Flugsicherung die Piloten über eine „potenzielle Sicherheitsbedrohung“ an Bord informiert und ihnen befohlen habe, in Minsk zu landen, obwohl der nächstgelegene Flughafen zu diesem Zeitpunkt bereits Vilnius war. Das Flugzeug befand sich nach Angaben des Onlinedienstes flightradar24 bereits fast an der Grenze zu Litauen, wurde jedoch zum Landen nach Minsk umgeleitet.

Wie der offizielle Telegram-Kanal von Aleksander Lukaschenko „Pul Perwogo“ berichtete, gab Lukaschenko persönlich „einen bedingungslosen Befehl, das Flugzeug umzuleiten und in Empfang zu nehmen“. Um das Passagierflugzeug zu „eskortieren“, startete ein Abfangjäger der belarusischen Luftwaffe „MiG-29“. Während des Vorfalls mit dem Ryanair-Flug wurde von der belarusischen Seite auch einen Mi-24-Hubschrauber eingesetzt. Das berichtet DELFI unter Berufung auf die oberste außenpolitische Beraterin des litauischen Präsidenten, Asta Skaisgirytė. Ihr zufolge hat Belarus für die Landung der Maschine zwei Militärflugzeuge eingesetzt: das Kampfflugzeug MiG-29 und den Hubschrauber Mi-24. Asta Skaisgirytė fügte hinzu, dass es anfangs falsche Informationen über den Sprengstoffalarm in dem landenden Flugzeug. Ihrer Meinung nach ist dieses Ereignis der Vorgehensweise des belarusischen KGB sehr ähnlich.

Nach der Landung wurde das Flugzeug durchsucht – die Bombenmeldung wurde nicht bestätigt. Unter den Passagieren befand sich der Chefredakteur des oppositionellen Telegram-Kanals „Belarus des Gehirns“ („Belarus Golownowo Mosga“), Roman Protasewitsch, den das belarusische Regime zuvor als „Terroristen“ eingestuft hatte. Er wurde festgenommen.

Vor dem Flug teilte Roman Protasewitsch seinen Freunden mit, ihm sei aufgefallen, dass er verfolgt werde. Ein Unbekannter am Flughafen in Athen, der in der Schlange zur Passkontrolle hinter ihm stand, machte ein Foto von seinem Pass und verließ schnell die Warteschlange.

Ryanair FR4978 hatte während des MSQ-Boardings 171 Passagiere an Bord. Bis 20:30 Uhr gab es nur Informationen über 149 Passagiere, über die restlichen 22 Passagiere liegen keine Informationen vor.

Reaktionen der Europäischen Kommission, einzelner Politiker, Staats- und Regierungschefs auf den Vorfall mit Ryanair

Die Anführerin der belarusischen Opposition Swetlana Tichanowskaja erklärte:

„Es ist absolut offensichtlich, dass es sich hier um eine Operation der Geheimdienste zur Flugzeugentführung handelt, mit dem Ziel, den Aktivisten und Blogger Roman Protasewitsch zu verhaften.

Das Regime gefährdete die Sicherheit der Passagiere an Bord und die gesamte zivile Luftfahrt, um den Mann zu vernichten, der Redakteur der größten unabhängigen Telegram-Kanäle von Belarus war. Nur dafür wurde er als Terrorist abgestuft.“

Der Stab von Swetlana Tichanowskaja hat sich bereits an das Ryanair-Büro und die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation gewandt und gefordert, den Vorfall zu untersuchen und Maßnahmen zu ergreifen, bis hin zum Ausschluss von Belarus aus der ICAO.

„Von nun an kann sich niemand mehr, die über Belarus fliegt, seiner Sicherheit sicher sein. Denn das Regime missbraucht die Regeln des Flugverkehrs, um Andersdenkende gefangen zu nehmen“, sagte Tichanowskaja.

Präsident von Litauen Gitanas Nauseda bezeichnete in seinem Twitter-Account die Situation mit dem Flugzeug als beispiellos und forderte die Freilassung von Roman Protasewitsch. In seiner Erklärung auf der offiziellen Facebook-Seite appellierte der Präsident an die Verbündeten der NATO und der EU, unverzüglich „auf die Bedrohung für die internationale Zivilluftfahrt durch das belarusische Regime“ zu reagieren.

„Ich fordere das belarusische Regime auf, den Festgenommenen unverzüglich freizulassen und ihm sowie allen anderen Passagieren im Flugzeug zu erlauben, ihre Reise nach Vilnius fortzusetzen. Ich rufe die Verbündeten der NATO und der EU auf, sofort auf die Bedrohung der internationalen Zivilluftfahrt durch das belarusische Regime zu reagieren. Die internationale Gemeinschaft muss dringend Maßnahmen ergreifen, um ein erneutes Auftreten solcher Vorfälle zu verhindern. Ich werde morgen im Europäischen Rat in Brüssel darüber sprechen“, schrieb er.

Der polnische Politiker, ehemaliger polnischer Ministerpräsident und EU-Präsident Donald Tusk bezeichnete die Entführung des Ryanair-Flugzeugs als „Akt des Staatsterrorismus“ und forderte die europäischen politischen Institutionen auf, entschlossen und unverzüglich zu reagieren.

Auch Polens derzeitiger Ministerpräsident Mateusz Morawiecki nannte die Entführung „einen Akt des Staatsterrorismus, der nicht ungestraft bleiben darf“. Mateusz Morawiecki wandte sich an den Europarat mit der Bitte, den Punkt über die Flugzeugentführung durch die belarusischen Behörden auf die morgige Tagesordnung zur Diskussion zu setzen.

Die Leiterin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen bezeichnete das „Erzwingen der Landung“ des Fluges aus Athen in Minsk als inakzeptabel. „Jeder Verstoß gegen die Regeln des internationalen Luftverkehrs hat Konsequenzen“, erklärte Leiterin der Europäischen Kommission.

Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland Miguel Berger verlangte von der belarusischen Regierung eine sofortige Erklärung.

Wer ist Roman Protasewitsch

Roman Protasewitsch ist ein 26-jähriger belarusischer Aktivist, Blogger und Redakteur von Kanälen, die in Belarus als extremistisch angestuft wurden. Er studierte an der Fakultät für Journalismus der Belarusischen Staatlichen Universität. Allerdings hat Roman die Universität nie abgeschlossen. Wie er selbst in einem Interview sagte, wurde er „aus politischen Gründen“ exmatrikuliert.

Roman arbeitete als Journalist für mehrere unabhängige belarusische Medien. Später wurde er Chefredakteur eines der beliebtesten Telegram-Kanäle, der vom Blogger Szjapan Puzila gegründet wurde. Vor und nach den Präsidentschaftswahlen 2020 wurde er zu einer der wichtigsten Informationsquellen über die Proteste.

Im Oktober letzten Jahres wurde dieser Kanal als extremistisch eingestuft. Dabei wurde sogar das Logo des Senders für extremistisch erklärt. Kurz zuvor gab Roman Protasewitsch bekannt, dieses Projekt zu verlassen und sich einem anderen zu widmen (im April 2021 wurde der von Protasewitsch geleitete Telegram-Kanal ebenfalls als extremistisch eingestuft).

Im November leitete der Untersuchungsausschuss von Belarus ein Strafverfahren gegen Protasewitsch auf Grundlage mehrerer Artikel ein. Er ist angeklagt nach Artikel 293 des Strafgesetzbuches („Massenunruhen“), Artikel 342 des Strafgesetzbuches („Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen, oder aktive Teilnahme daran“) und Artikel 130 des Strafgesetzbuches („Aufstachelung zu Rassenhass, nationalem, religiösem oder sonstigem sozialen Hass oder Zwietracht“). Darüber hinaus wurde er vom KGB in die Liste der Organisationen und Einzelpersonen aufgenommen, die an terroristischen Aktivitäten beteiligt sind. Roman wurde außerdem auf die zwischenstaatliche Fahndungsliste gesetzt.

In den letzten Jahren lebte Roman außerhalb von Belarus. Im Februar dieses Jahres forderte die belarusische Generalstaatsanwaltschaft Polen auf, Protasewitsch zu verhaften und ihn belarusischen Strafverfolgungsbehörden zu übergeben. Allerdings hatte er zu diesem Zeitpunkt, wie Pratasewitsch auf seinen Seiten in sozialen Netzwerken mitteilte, bereits fünf Monate in einem anderen Land gelebt.

Am 4. Mai unterzeichnete Alexander Lukaschenko ein Dekret, mit dem mehr als 80 ehemaligen Soldaten und Ordnungskräften wegen „diskreditierender Handlungen“ der militärische Rang aberkannt wurde. Unter ihnen war Romans Vater – Oberstleutnant Dmitrij Protasewitsch.